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Aus dem Alltag einer Rentnerin

Wie kommt es eigentlich, dass die Leute immer glauben, Rentner hätten alle Zeit der Welt? Also, auf mich trifft das garantiert nicht zu!

 

Rentner kommt von ‚rennen’, und ich fühle mich oft wie ein Reh (naja, äußerlich nicht unbedingt, aber sonst), hinter dem der Jäger mit seiner Hundemeute her ist. Mein Tag könnte 60 Stunden haben, und selbst dann würde er mir nicht reichen. Irgendwas muss ich wohl falsch machen!

 

Zugegeben – ich gehöre nicht zu den Frühaufstehern. Es kann schon mal passieren, dass ich erst gegen zehn, halb elf aus den Federn krieche. Manchmal auch noch später. Hauptsächlich dann, wenn ich wieder einmal die halbe Nacht damit zugebracht habe, meine Wäsche zu bügeln, E-Mails zu beantworten, neue Geschichten zu erfinden oder mich bei Facebook herumzutreiben. Was allerdings nicht gar so erbaulich ist – nachts schlafen auch da die meisten. Die wenigen, die wach sind, befassen sich mit ihren Krankheiten. Ab ein Uhr nachts sind allenfalls Autoren oder Nicht-Schläfer zugange. Solche wie ich.

 

Aber ich bin schon wieder vom Kurs abgekommen. Vom Oarsch zum G‘sundheitsschatt, wie man in Nürnberg so nett zu sagen pflegt. Eigentlich war ich ja am Überlegen, wieso mir immer die Zeit nicht reicht.

 

Das späte Aufstehen ist die eine Sache. Aber irgendwann muss ich ja auch mal meine Geschichten niederschreiben – tagsüber habe ich selten Gelegenheit dazu. Oder wenn doch, kann ich nicht sitzen; der Haushalt schreit Zeter und Mordio; mein Mann scharrt mit den Hufen, weil er einen Stubenkoller hat und dringend an die Luft will … oder das Telefon nervt. Jenes Gerät, dass sich zwei, drei Wochen in Schweigen hüllt – aber ausgerechnet dann zu Wort meldet, wenn ich beschlossen habe, endlich die neue Geschichte für den Schreibwettbewerb fertig zu kriegen …

 

Seitdem ich Rentnerin bin, habe ich mir auch einen ziemlichen Trott angewöhnt. So nach dem Motto ‚Komm‘ ich heut nicht, komm‘ ich morgen – nächste Woche bin ich dann schon da’.

 

Das Frühstück wird ziemlich lange ausgedehnt – egal, wann ich aufgestanden bin. Einschließlich Zeitungslektüre. Die sorgt nämlich dafür, dass mein über Nacht in den Keller gerutschter Blutdruck schlagartig in die Höhe schießt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht über irgend etwas aufregen muss!

 

Mal ist es die Politik, mal die Preiserhöhung fürs Porto oder die öffentlichen Verkehrsmittel. Oder ein paar Idioten, die auf der Autobahn einen Unfall gefilmt und das Ergebnis ins Internet gestellt haben. Denen wünsche ich dann immer, dass es ihnen mal genauso geht!

 

Auch die immer mehr um sich greifende Respektlosigkeit, die Gleichgültigkeit gegen über dem Eigentum anderer, überquellende Abfallkörbe in der Stadt oder der Vorfall neulich, bei dem ein paar Verrückte sich auf der Autobahn ein Rennen mit ihren Protzschlitten geliefert haben, sind Themen, bei denen mir regelmäßig der Kamm schwillt.

 

Vielleicht sollte die ja die Zeitung abbestellen? Nein, das geht gar nicht. Dann müsste ich zum Frühstück Sekt trinken, damit mein Kreislauf auf Touren kommt. Was auf die Dauer weder billiger kommt noch gesünder ist. .

 

Der Nachmittag beginnt so gegen halb zwei mit der Frage „Was machen wir heute?“ Die wird gelegentlich so ausgiebig erörtert, dass – nachdem man sich geeinigt hat – im Winter schon wieder die Sonne untergeht und damit alle Pläne zunichte macht. Im Sommer sieht es etwas besser aus, weil es – dank der von mir zutiefst verabscheuten Sommerzeit – erst um zehn Uhr abends dunkel wird. Für mich persönlich ist das schlecht. Weil mir dann keine passende Ausrede einfällt, warum ich absolut keine Lust habe, das Haus zu verlassen.

 

Ja, womit verbummle ich denn nun tatsächlich meine Zeit? Kann es daran liegen, dass ich im Laufe der Jahre soooo betulich geworden bin?

 

Gut, ich sehe ja ein, dass man im Alter nicht mehr so rennen kann wie mit dreißig. Wobei – das stimmt auch wieder nicht. Ich renne und renne – siehe oben –, aber ich schaffe immer weniger.

 

Manchmal wünsche ich mir beim morgendlichen Blick in den Spiegel, niemals so alt werden zu müssen, wie ich mich fühle. Genauso verhält es sich auch mit meinem Arbeitstempo. Nie war mein Haushalt in so desolatem Zustand; nie hat mich so viel Bügelwäsche vorwurfsvoll angestarrt; nie war der Papierberg auf meinem Schreibtisch höher als heute. Wie habe ich das nur früher gemacht, als ich noch ganztags arbeiten ging?

 

Tröstlich finde ich jedenfalls, dass es auch meinen Freundinnen nicht besser geht. Wenn ich mit einer davon mal zwei Stunden am Telefon gequatscht habe und ihr dann vorschlage, sich doch mal auf einen Kaffee zu treffen, bekomme ich regelmäßig den sattsam bekannten Rentnergruß zu hören, der da lautet ‚Keine Zeit, keine Zeit’.

 

Schon irgendwie seltsam das Ganze, finden Sie nicht?

 

Übrigens: ich habe mich schon nach einer Woche im Ruhestand gefragt, wann ich jemals die Zeit gefunden habe, auch noch ins Büro zu gehen …

 

 

 

 

 

© Christine Rieger / 2019

 

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