Die Aufregung ist groß am Morgen des 26. Oktober 2019.
Ich bin die erste, die eine Viertelstunde vor dem
Treffen vorm Eingang steht. Sieht mir ähnlich! Aber ich hasse es nun einmal, zu spät zu kommen.
Lange bin ich nicht allein. Nach und nach rücken meine Kolleginnen und Kollegen an – alle von der „schreibenden Zunft“, bepackt mit Lautsprecheranlage, Proviant, Blumenvasen, Getränken … was man halt so braucht für einen langen Tag.
Sobald unser „Oberhaupt“ – auch Gruppenleiter genannt – die Tür aufgesperrt hat, setzt hektisches Gewusel ein. Stühle werden in Reih und Glied aufgestellt, Rednerpult und Rednertischchen an Ort und Stelle gerückt. Aus dem Nebenzimmer schleppen eifrige Kollegen die Getränke in den übernächsten Gang, wo eine provisorische „Verkaufstheke“ aus einem Tisch und ein paar Stühlen gebaut wird. Dahinter werden ehrenamtliche Damen später Brezen, Salzstangen und Getränke verkaufen.
„Wann kommt die Buchhändlerin?“, fragt jemand.
„Nicht vor halb zwölf“.
„Oje, so spät?“
„Was sollte sie schon früher hier? Um elf reden doch erst mal die geladenen Festredner. In der Zeit kauft doch eh keiner ein Buch!“ Stimmt auch wieder.
Der nächste Aufschrei: „Die Brezen sind noch nicht da. Hoffentlich hat der …“
Er hat nicht. Der Kollege, der für die Besorgung verantwortlich ist, kommt rechtzeitig.
Im Veranstaltungsraum herrscht Hektik. Der „Tontechniker“ –ein Autorenkollege – stellt seine Anlage auf und richtet sie ein. Ein anderer baut seinen Laptop auf, um später – wenn seine Frau ihre Lesung hält – Bilder auf einen Fernseher zu übertragen. Ein lauthals geschlagener Gong durchschneidet den Lärm. Alles schaut auf.
„Blinder Alarm – ich wollte nur mal einen Test machen!“
Endlich, wenige Minuten vor elf, setzt Ruhe ein. Die Ruhe vor dem Sturm. Was jetzt nicht vorbereitet ist, muss eben unter der Kategorie „Höhere Gewalt“ abgebucht werden …
Aber es klappt alles wie am Schnürchen.
Die Festredner beiderlei Geschlechts sind pünktlich. Keiner überzieht die vorgegebene Redezeit. Es ist sogar nach der letzten Ansprache noch Zeit. Die wird von der engagierten Konzertgitarristin gekonnt gefüllt.
Inzwischen ist die Buchhändlerin eingetroffen, packt die bestellten Bücher aus. Aber leider nicht alle … von einigen der Autoren konnte der Großhandel die Exemplare nicht rechtzeitig herbeischaffen. Katastrophe!
Die Betreffenden werden informiert. Ich gehöre auch dazu. Das kommt davon, wenn man nicht zu den Top-Autoren gehört …
Ich greife zum Handy, rufe meinen Mann an. Er hat versprochen, eine Stunde vor meiner Lesung dazusein. Ich instruiere ihn, wo er die Bücher findet, die ich zu Hause gehortet habe und bitte ihn, sie mitzubringen. Gerettet!
Auch eine Kollegin hat Gott sei Dank Heeresbestände zu Hause und verspricht, sie mitzubringen. Gott sei Dank – Problem beseitigt!
Tja … und dann komme ich an die Reihe, meine Lesung zu halten.
Obwohl ich meine Texte vor der Nase habe und nur ablesen muss, bin ich nicht eben die Ruhe selber ...
„Kollege Tontechniker“ bestückt mich mit dem Mikrofon, schaltet die Anlage ein. Ich lange da nicht hin – ich kriege nämlich alles kaputt. Oder erst gar nicht ans Laufen!
Die Stuhlreihen sind gut besetzt, sogar auf eilig herbeigeschafften Bierbänken sitzen Zuhörer, alle in gespannter Erwartung. Zu meiner großen Freude und Überraschung haben sich mehrere Leute eingefunden, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe!
Ich versuche, nicht so laut zu schreien. Ich habe noch nie mit Mikrofon gelesen und möchte nicht, dass den Zuhörern die Ohren wegfliegen. Doch es geht alles gut. Nur einmal beschließt die Technik, kurzfristig auszusteigen. Das passiert aber nicht nur mir, sondern nahezu allen Vortragenden. Irritierte Blicke, der „Tontechniker“ eilt herbei, drückt ein paar Knöpfe, und weiter geht’s …
Trotzdem bin ich seeehr erleichtert, als ich meine letzte von 3 Geschichten gelesen habe und meine Manuskripte weglegen kann.
Und dann die nächste Herausforderung: das Interview.
Auch so was, das mir noch nie passiert ist … Aber auch diese Hürde nehme ich, wie alle meine Kolleginnen und Kollegen. Manche von ihnen haben – im Gegensatz zu mir – Übung in dieser Hinsicht!
Hier geht es zum Interview ...
Obwohl ich inzwischen – wie alle anderen – fast 12 Stunden auf den Beinen bin, kommt keinerlei Langeweile oder Müdigkeit auf. Meine Adrenalinpumpe ist heute in Höchstform …
Abgesehen davon sind die Lesungen der Kolleginnen und Kollegen kurzweilig und abwechslungsreich. Von Nürnberger Mundart über Satire, Krimi und philosophische Betrachtungen über Bücher bis zu augenzwinkernder Erotik ist alles dabei. Bei manchen Vorträgen liegen wir beinahe unterm Tisch vor Lachen – oder es herrscht atemlose Spannung, während die Krimi-Autorin Auszüge aus einem ihrer Bücher zum Besten gibt.
Zu unserem Erstaunen fehlt es nie an Publikum – selbst zur allerletzten Lesung um 21.00 Uhr sind noch viele Stühle besetzt!
Doch alles hat ein Ende – und irgendwann fällt dann doch der „Vorhang“.
Wieder herrscht hektisches Treiben. Schließlich muss der Veranstaltungsraum wieder in Ordnung gebracht und alle Spuren unseres Hierseins müssen beseitigt werden.
So gegen zehn Uhr abends sind wir fertig – mit dem Aufräumen, der Abrechnung der Finanzen … und einige von uns mit der ganzen Welt.
Wir sehnen uns nach unseren Betten – aber wir sind uns einig:
Es hat sich auf jeden Fall gelohnt!
© Christine Rieger / 2019
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Inga Scheer-Ruhland (Donnerstag, 09 Januar 2020 14:24)
Schade, dass ich nicht dabei sein konnte!
Doch Deine Schilderung ist so spannend und kurzweilig, dass ich beinahe das Gefühl habe, alles selber erlebt zu haben. Wie bei Deinen Geschichten!
Danke für die Einblicke und auf weitere spannende Lesungen, lG
Inga
Christine Rieger (Donnerstag, 09 Januar 2020 15:39)
Hallo,, Inga,
vielen Dank für Dein großes Kompliment! Ja, ich hätte mir auch gewünscht, Du wärest dabei gewesen!
Aber Du hast heuer eine zweite Chance - das Lesefest wird im November wieder stattfinden ...
Liebe Grüße
Christine